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Herzschmalz

im wesentlichen unwesentlich

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Tanz der Finsternis

Ein Butoh Tanzfestival in Budapest. Gibt es einen passenderen Ort für diesen Tanz der Finsternis? Nein. Denn keine Kulisse könnte in Europa besser passen als diese morbide Stadt an der Donau, die im Winter all ihre farbenfrohe Pracht verliert und nur als abgemagerter Schatten ihrer selbst wirkt. Faust aufs Auge. Verfallene Häuser, an denen der Ruß für die Ewigkeit zu kleben scheint. Auf der Strasse noch mehr Dreck und Lärm und auch lebendes Gedärm.

Die Armut spuckt dir ins Gesicht. Ohne Dach zum Anfassen. Dazwischen sitzt eine Frau in ihrem Erbrochenen und isst Schleim. Sie fragt nicht nach Geld. Da wo sie ist, braucht sie es nicht mehr. Natürlich bietet Budapest auch Prunkvolles, Überbleibsel längst erloschener Monarchien, vor allem für Touristen. Aber der wirkliche Charme liegt auf der Strasse. Im Winter grau in grau. Ein romantisches sich aus dem Fenster werfen keimt hoch. Auf der Strasse unter Laternen verrecken. Gelbes Licht fällt auf dein purpurrotes Blut. Wie gesagt, ein guter Schauplatz für Butoh und dem fratzenhaften Tanz der Dämonen. Dämonen, die in dir wohnen.

Vier Tage und Nächte lang gibt die Haute Volée dieser aus Japan stammenden Kunstform an verschieden Orten in Budapest ein künstlerisches Stelldichein. Filme, Performances, Vorträge. Sich auf den schmalen Grat zwischen Traum und Albtraum begeben. Bilder sehen, fühlen, schmecken, einverleiben. Spätestens im Rudas Bad – das alte römische Bad ist eines der Veranstaltungsorte – kann man die Realitätsketten über Bord werfen und sich frei schwimmen, in die Lüfte empor schwingen. Weihnachtsmarkt war gestern, Butoh ist heute.

 

Die Gräfin und ich

Historienschinken ist wohl ein graffittiGenre und keine Wurst. Komplexe Zusammenhänge werden oft auf das Schema „Frau trifft Mann“ reduziert und in Zelluloid-Sülze verwandelt. Der Rest sind Gefühle, ist Staffage. Jüngst kam „Die Gräfin“ in die Kinos. Jetzt folgt „Bathory“. Zwei Filme über die ungarische blutrünstige Gräfin Erzsébet Báthory, die im 16. Jahrhundert über 600 Jungfrauen ermordet haben soll, um in deren Schönheit verheißendem Blut zu baden.

Es gibt Gerüchte, die besagen, Bram Stoker hätte für Dracula nicht den pfählenden transsylvanischen Fürsten Vlad Tepes als Vorbild gehabt, sondern eben genau diese 1560 geborene ungarische Gräfin mit schwierigem Charakter. Wohlgemerkt. Abenteuerliche Legenden ranken sich um die Gräfin, als Blutgräfin mit dem eisernen Willen zum Jungsein fand sie Eingang in die Phantasien vieler. Herrschende Domina, grausame Sadistin, verführende Lesbe, Kannibalin, Satanistin, kein Klischee bleibt trocken, wenn es um die Báthory geht. Der weibliche Gilles de Rais. Neben all den Geschichten – wahr und ausgedacht – kommen jetzt die Filme. Báthory hat Konjunktur.

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Da gibt es kein Entkommen, die Filme muss ich sehen. Denn die Gräfin und ich sind verbunden. Nicht irgendwie, sondern durch ihren Familienwappen. Auf der Schulter tätowiert trage ich es mit ins Grab, ein Geheimnis, die Tätowierung. Hat mir eine Freundin gestochen im letzten Jahrhundert. Ist schon verblasst, verzerrt, die Tinte verwaschen, aber da, auf dem Rücken, noch da. Wenn ich nach Beweggründen gefragt werde, erzähle ich jedes Mal eine andere Geschichte. Sie sind alle wahr und gleichzeitig ausgedacht. Ich weiß es nicht mehr genau. Es war mal sehr wichtig. Der Drache, der sich um die drei spitzen Zähne windet. Ihr Familienemblem, die Tätowierung auf meiner Schulter.

Welche junge Frau jongliert nicht mit Ambivalenz und Verführung, der aufkommenden Femme Fatale, wenn die pubertäre Femme Fragile überwunden ist? Erotik und Feminismus gehen Hand in Hand in deiner Phantasie spazieren. Bild an Bild. Klischee an Klischee. Schon Paloma Picasso  hat 1973  in „Unmoralische Geschichten“ als Gräfin Báthory nach Jungfrauen gedürstet. In 70er Jahre Ästhetik. Mit Tonnen von wuchernder Schambehaarung und der Wanne voll Blut.

Zu den immer noch in den Köpfen verankerten Blutbadtheorien der Báthory gibt es allerdings keinen ernsthaften historischen Verweis. Sie wurde zwar ominöser Verbrechen angeklagt, in den Prozessakten ist jedoch keine Blutspur zu finden. War Erzsébet einfach nur eine schöne, kluge und dominante Frau? Zu emanzipiert für ihr dunkles Jahrhundert? Oder doch die Heroine des Grauens, wie der Schriftsteller Michael Farin sie tituliert? Steckten wirtschaftliche Interessen hinter ihrer Anklage? War es ein abgekatertes Spiel, um sie als einflussreiche Person gesellschaftlich zu ruinieren? Das 17. Jahrhundert war kein Zuckerschlecken. Nicht unüblich Folter als Instrument der Wahrheitsfindung einzusetzen. Bis einer sagt, was man hören will. Aber wer wollte was und wieso hören? Nach dem Tod ihres grausamen Gatten, dem ungarischen Vizekönig, schien die Báthory ihre sadistischen Ambitionen zügelloser ausgelebt zu haben. Was hatte man ihr angetan? War sie Täter, war sie Opfer? Auf jede Frage stellen sich fünf Antworten und zehn Legenden in Reih und Glied.

ruinen-burg-cachticeUm dieser mysteriösen Frau auf die Schliche zu kommen, nahm ich ihre Fährte auf. Im letzten Jahrhundert. Habe die Ruine ihres Schlosses Csejte, heute Cachtice, in der Slowakei besucht. Habe ihr zu Ehren Blut gespendet. Um ehrlich zu sein, handelte es sich bei meinem Blutopfer um ein benutztes Tampon, dass ich theatralisch in den Burgruinen liegen lassen habe. Rot. Aus Impuls, im jugendlichen Elan, fern von Satanismus. Habe tagelang in der Nationalbibliothek von Budapest in alten Originalbüchern geschmökert, ihre degenerierte Familie studiert, Farin, Klaniczay und Sacher-Masoch gelesen. Je mehr Informationen und Phantasien – fremde und eigene – zusammenkamen, desto verwirrender das Gesamtbild.

‚Es sind junge Frauen gestorben‘ ist Fakt. Báthory hat sadistische Triebe in einer sadistischen Zeit gehabt. Anzunehmen. Wieweit ist sie gegangen? In dem Prozess von 1611 haben fast alle ‚Zeugen‘ gegen sie ausgesagt. Bis auf ihre Amme. Báthory hat sich nicht geäußert, hat sich nicht verteidigt, wurde nicht verurteilt. Wurde eingemauert. Prozesse im 17 Jahrhundert müssen nicht unbedingt vertrauensvolle historische Quellen sein. Im 18. und 19. Jahrhundert kamen noch mehr Spekulationen hinzu, erdacht und erträumt. Das Bad im Blut. Köpfe halluzinieren Legenden. Jungfrauen kommen immer gut. Wir wissen wie Geschichte funktioniert. Was die Wahrheit über Erzsébet Báthory betrifft; diese rottet und modert in den Gemäuern von Cachtice. In unseren Köpfen blüht die Phantasie.

Ach ja, der Film, die Filme.

Bathory„, „Die Gräfin“.

Am Ende der Welt V

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Am Ende der Welt wird am Ende alles gut.

Am Ende der Welt IV

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Am Ende der Welt III

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Eine Dorfkneipe ist eine Dorfkneipe in Ungarn, ist eine Dorfkneipe im Nirgendwo, hat keine Regeln. Zumindest keine offensichtlichen. Keine festen Öffnungszeiten, keine Parameter, die einem als Außenstehenden zur Orientierung dienen könnten. In sieben Tagen blieb mir der Eintritt durch diese Tür verwehrt. Die Dorfkneipe ist eine Attrappe. Habe ich gedacht. Bis ich eines Tages kurz vor Mittag die Tür sich öffnen sah.

Die Sonne knallt auf heißen Asphalt, leichter Wind wirbelt Staub auf, kein Geräusch weit und breit, nur das Summen ein paar verwirrter Fliegen. Cowboys, Westernstiefel, Cowboyhut, ein Saloon & ein paar Rinder fehlen. Aber wir sind nicht in Texas, sondern in Ungarn auf dem Dorf, da gibt es keine Cowboys. Die Tür geht auf, ein nicht aufrecht Stehender wackelt ins Tageslicht, viel zu grell, er hält sich die Hand vor die Augen. Also doch. Die Kneipe existiert, der Mythos lebt. Mit Kind auf dem Arm – es ist kurz vor Mittag – stoße ich die Tür zum Dunkel auf, trete ein in den nach abgestanden Alkohol stinkenden Mief. Weiterlesen „Am Ende der Welt III“

Am Ende der Welt II

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Das Ende der Welt ist kein Ort. Das Ende der Welt ist ein Zustand. Wie Schmetterlinge im Bauch. Wie Kopfweh. Wie ein gebrochenes Bein. Ich bin das Ende der Welt.

Am Ende der Welt I

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Ich wohne am Ende der Welt. Abseits. In großer Entfernung von der Mitte. Wenn ich verreise, verreise ich von dem einen Ende der Welt an ein anderes Ende der Welt. Immer. Es gibt genug Enden der Welt. Erwische sie alle. Kenne sie alle. Alle Enden dieser Welt.

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